Psychosomatik bei Menière-Patienten

Liebe Patientinnen und Patienten,

in unserer HNO-Praxis steht Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden an erster Stelle. Eine Erkrankung, die viele Menschen betrifft und deren Behandlung eine besondere Herausforderung darstellt, ist der Morbus Menière. Diese Erkrankung ist bekannt für ihre unvorhersehbaren Schwindelattacken, einseitigen Hörverlust und Tinnitus. Doch oft sind es nicht nur die körperlichen Symptome, die den Alltag der Betroffenen stark beeinträchtigen, sondern auch psychosomatische Faktoren. In diesem Artikel möchten wir Ihnen einen umfassenden Überblick über die psychosomatischen Aspekte des Morbus Menière geben und Ihnen zeigen, wie Sie bestmöglich mit der Erkrankung umgehen können.

Was ist Morbus Menière?

Morbus Menière ist eine Erkrankung des Innenohrs, die durch wiederkehrende Schwindelattacken, Tinnitus und Hörverlust charakterisiert ist. Diese Symptome können sehr belastend sein und führen oft zu erheblicher Einschränkung der Lebensqualität. Ein klinisch sicherer Morbus Menière kann angenommen werden bei:

  • Zwei oder mehr spontanen Schwindelattacken von 20 Minuten bis 12 Stunden Dauer.
  • Einem audiometrisch dokumentierten Hörverlust der tiefen bis mittleren Frequenzen im betroffenen Ohr.
  • Fluktuierenden auditiven Symptomen wie Tinnitus oder Völlegefühl im betroffenen Ohr.

Die Häufigkeit der Attacken kann dabei von mehrmals pro Monat bis zu sehr seltenen, nur alle paar Jahre auftretenden Anfällen schwanken. In einigen Fällen kann es auch zu plötzlichen Stürzen ohne Vorwarnung kommen​.

Die Rolle der Psychosomatik

Die körperlichen Symptome des Morbus Menière sind gut dokumentiert, doch auch die psychosomatischen Auswirkungen dürfen nicht unterschätzt werden. Patienten erleben oft überdauernde Schwindelgefühle, die nicht nur organisch, sondern auch psychogen bedingt sind. Diese anhaltenden Schwindelgefühle können zu einer erhöhten Angst- und Depressionskomorbidität führen.

Laut Helmut Schaaf können solche anhaltenden Schwindelgefühle durch eine fehlende Rückanpassung an die im Anfall sinnvolle Hemmung der vestibulären Funktionen entstehen. Dies wird als “persistent perceptual and postural dizziness” (PPPD) klassifiziert​.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Angstsystem, welches die Balance beeinflussen kann. Das limbische System erhöht bei Angst die Schwelle für Impulse aus den Gleichgewichtsorganen. Diese Mechanismen können dazu führen, dass Bewegungen als Schwindel wahrgenommen werden, selbst wenn keine organische Ursache mehr besteht. Dadurch kann sich ein Teufelskreis aus Schwindel und Angst entwickeln, der schwer zu durchbrechen ist.

Risikogruppen und Auslöser

Ein Grund für die Entwicklung eines überdauernden Schwindels kann die Angst vor weiteren Attacken sein. Diese Angst kann durch wiederholte organische Ereignisse verstärkt werden. Weitere Risikofaktoren sind:

  • Mangelnde Zuversicht in den Erfolg von Therapien.
  • Gleichgewichtshemmende Medikamente statt Gleichgewichtsübungen.
  • Psychische Beeinträchtigungen, die sich mit dem Schwindel entwickeln.
  • Vermeidung von Aktivitäten, die zur Genesung beitragen könnten.

Reaktiver psychogener Schwindel kann durch Konditionierungseffekte entstehen. Situationen oder Reize, die ursprünglich keinen direkten Bezug zum Menière-Geschehen hatten, können durch ihre zeitgleiche Anwesenheit während eines Anfalls selbst zu Auslösern von Angst und Schwindel werden. Diese Konditionierung kann dazu führen, dass ähnliche Situationen später ebenfalls Schwindel auslösen​.

Therapieansätze

Ausgangslage und Aufklärung

Ein wichtiger Schritt in der Therapie des Morbus Menière ist die umfassende Aufklärung der Patienten über die Erkrankung und ihre Auswirkungen. Dies kann helfen, die Angst vor den unvorhersehbaren Attacken zu mindern und ein besseres Verständnis für die eigene Krankheit zu entwickeln. Ein Informationsblatt kann hierbei unterstützend wirken.

Die Patienten sollten auch darüber informiert werden, dass der Morbus Menière keine lebensbedrohliche Krankheit ist und dass es Möglichkeiten gibt, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Eine offene Kommunikation über die Unsicherheiten und Grenzen der aktuellen Therapiemöglichkeiten ist ebenfalls wichtig, um unrealistische Erwartungen zu vermeiden.

Begleitung und Unterstützung

Eine kontinuierliche ärztliche Begleitung ist essenziell. Patienten sollten in die Lage versetzt werden, sich selbst auf einen möglichen Anfall vorzubereiten. Dazu gehört das Mitführen von Medikamenten gegen Übelkeit und ein Handy, um im Notfall Hilfe anfordern zu können. Auch die Unterstützung der Hörfunktion durch frühzeitige Anpassung von Hörgeräten kann die Lebensqualität erheblich verbessern.

Hörgeräte, die auch die Schwankungen des Hörvermögens berücksichtigen, sind besonders hilfreich. Bei größeren Hörverlusten können CROS-Geräte oder Cochleaimplantate zum Einsatz kommen, um das Richtungshören zu unterstützen. Dabei ist es wichtig, die Patienten über die Möglichkeiten und Grenzen dieser technischen Hilfsmittel aufzuklären.

Psychotherapeutische Unterstützung

Bei der Bewältigung der psychogenen Komponenten der Erkrankung kann eine psychotherapeutische Unterstützung sehr hilfreich sein. Die Psychotherapie kann helfen, mit den Ängsten und der oft damit verbundenen Depression umzugehen. Ein strukturiertes Gleichgewichtstraining, idealerweise in einer Gruppe unter Anleitung eines Physiotherapeuten, kann ebenfalls sehr hilfreich sein​.

Mögliche Fallen in der Kommunikation

Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient spielt eine zentrale Rolle. Es ist wichtig, dass der Arzt realistische Hoffnungen vermittelt und gleichzeitig die Grenzen der aktuellen Therapiemöglichkeiten ehrlich darstellt. Falsche Versprechungen können zu enttäuschten Hoffnungen und einem Vertrauensverlust führen.

Ungünstig wäre es, wenn Patienten die Botschaft erhalten, dass man “nichts machen kann” oder dass sie “damit leben müssen”, ohne konkrete Hilfestellungen zu erhalten. Stattdessen sollte der Fokus auf einer realistischen und evidenzbasierten Therapie liegen. Dazu gehört auch die Empfehlung von Gleichgewichtstraining und physiotherapeutischen Maßnahmen.

Vermeidung und Bewältigung

Ein wichtiger Aspekt der Therapie ist die Vermeidung von Verhaltensweisen, die den Schwindel verstärken könnten. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Angst und die Entwicklung von Bewältigungsstrategien. Patienten sollten ermutigt werden, aktiv an ihrer Genesung mitzuwirken und sich nicht von der Angst beherrschen zu lassen.

Es ist hilfreich, wenn Patienten lernen, zwischen organischem Anfallsgeschehen und psychogenem Schwindelerleben zu unterscheiden. Ein praktischer Tipp ist, bei Schwindel aufzustehen und fest aufzutreten, um zu prüfen, ob sich die Standfestigkeit verbessern lässt. Oft kann dies die Angst bei psychogenem Schwindel verringern.

Langfristige Unterstützung

Langfristige Unterstützung und soziale Interaktion sind wichtige Faktoren für die Bewältigung der Krankheit. Selbsthilfegruppen wie KIMM e.V. (Kontakte und Informationen für Morbus Menière) und die Deutsche Tinnitus-Liga e.V. bieten wertvolle Unterstützung und Austauschmöglichkeiten für Betroffene. Studien haben gezeigt, dass Patienten, die sich über längere Zeit mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen, besser damit umgehen können und weniger psychische Belastungen erleben​.

Fazit

Morbus Menière ist eine komplexe Erkrankung, die nicht nur körperliche, sondern auch erhebliche psychosomatische Herausforderungen mit sich bringt. Durch eine umfassende Aufklärung, kontinuierliche Begleitung und psychotherapeutische Unterstützung können Betroffene jedoch lernen, besser mit der Krankheit umzugehen und ihre Lebensqualität zu verbessern.

Für weiterführende Informationen und Unterstützung besuchen Sie bitte auch die Online-Version dieses Artikels und die angegebenen Zusatzmaterialien.

 


Quellenangabe:

Schaaf, H. (2024). Psychosomatik bei an M. Menière Erkrankten. HNO. https://doi.org/10.1007/s00106-024-01484-1

Labyrinth-Anästhesie bei Morbus Menière

Labyrinth-Anästhesie bei Morbus Menière: Eine effektive Behandlungsoption

Morbus Menière ist eine komplexe Erkrankung des Innenohrs, die durch Symptome wie Schwindel, Tinnitus, Hörverlust und ein Druckgefühl im Ohr charakterisiert wird. Eine der Behandlungsmöglichkeiten, die in den letzten Jahren Aufmerksamkeit erregt hat, ist die Labyrinth-Anästhesie, auch bekannt als intratympanale Lidocain-Instillation. Dieser Ansatz zielt darauf ab, die Symptome von Morbus Menière direkt zu lindern, indem die sensorischen Signale des Gleichgewichtsorgans vorübergehend blockiert werden.

Grundlagen der Labyrinth-Anästhesie

Die Labyrinth-Anästhesie besteht aus der direkten Verabreichung eines Lokalanästhetikums in das Mittelohr, wodurch die Übertragung von Nervensignalen, die für die Auslösung von Schwindel verantwortlich sind, temporär unterbrochen wird. Verdonck et al. (2011) beschreiben diese Methode als eine minimalinvasive Option, die bei Patienten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprechen, potenziell hilfreich sein kann Volltext verfügbar hier.

Wirksamkeit und Sicherheit

Die Wirksamkeit der Labyrinth-Anästhesie bei Menière-Patienten wurde in verschiedenen Studien evaluiert. Die intratympanale Lidocain-Instillation zeigt vielversprechende Ergebnisse bei der Reduzierung von Schwindelanfällen. Kersbergen und Ward (2021) berichten in ihrer Übersichtsarbeit, dass viele Patienten eine signifikante Verringerung der Symptome erfahren, besonders bei akuten Anfällen Volltext verfügbar hier.

Die Behandlung ist insgesamt sicher, wobei die meisten Patienten nur vorübergehende Nebenwirkungen wie Ohrensausen oder ein vorübergehendes Druckgefühl erleben. Die geringe Invasivität und die Tatsache, dass der Eingriff ambulant durchgeführt werden kann, machen sie zu einer attraktiven Option für viele Betroffene.

Praktische Überlegungen

Für die Durchführung der Labyrinth-Anästhesie ist eine genaue Diagnose und das richtige Timing entscheidend. Die Behandlung wird typischerweise während eines akuten Schwindelanfalls durchgeführt, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. Des Weiteren ist die Patientenauswahl wichtig, da nicht alle Menière-Patienten gleich gut auf die Behandlung ansprechen. Es wird empfohlen, die Labyrinth-Anästhesie als Teil eines umfassenden Behandlungsplans zu betrachten, der auch physikalische Therapie und möglicherweise medikamentöse Unterstützung umfasst.

Fazit

Die Labyrinth-Anästhesie bietet eine wertvolle Behandlungsalternative für Patienten mit Morbus Menière, die auf traditionelle Therapien nicht ausreichend ansprechen. Mit ihrem minimalinvasiven Ansatz und der Fähigkeit, schnell wirksam zu werden, stellt sie eine vielversprechende Option dar, um die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es bleibt jedoch wichtig, weiterführende Forschung zu betreiben, um optimale Anwendungsprotokolle und Langzeiteffekte besser zu verstehen.

Referenzen

Intratympanale Glukokortikoidtherapie: Ein Rückblick auf fast zwei Jahrzehnte Erfolg in meiner Praxis

Seit 2005 biete ich in meiner Praxis die intratympanale Glukokortikoidtherapie (ITC) an, eine innovative Behandlungsmethode für bestimmte Innenohrerkrankungen wie den Hörsturz. Über die Jahre habe ich eine beträchtliche Expertise aufgebaut, die auf mehreren tausend erfolgreich durchgeführten Injektionen beruht. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Entwicklungen und Erfolge dieser Therapieform und unterstreicht, warum sie eine so wertvolle Option für Patienten mit Hörsturz und anderen Innenohrerkrankungen darstellt.

Was ist die intratympanale Glukokortikoidtherapie?

Die intratympanale Glukokortikoidtherapie ist eine Behandlungsform, bei der Glukokortikoide direkt in das Mittelohr injiziert werden. Diese Methode wird vor allem bei Patienten angewandt, die auf konventionelle systemische Therapien nicht ansprechen oder bei denen systemische Nebenwirkungen vermieden werden sollen. Durch die direkte Applikation können höhere Konzentrationen des Medikaments im Innenohr erreicht werden, ohne dass signifikante Mengen in den Blutkreislauf gelangen.

Die Entwicklung der ITC in meiner Praxis

Die Anfänge im Jahr 2005

Als ich 2005 begann, die ITC in meiner Praxis anzubieten, war es eine relativ neue Methode, die eine spezielle Expertise erforderte. Die anfänglichen Herausforderungen bestanden darin, die genauen Injektionstechniken zu meistern und die optimalen Dosierungen für verschiedene Erkrankungen zu bestimmen.

Erfahrungsaufbau und Anpassungen

Mit jeder durchgeführten Behandlung wuchs mein Verständnis für die Feinheiten der Therapie. Durch stetige Weiterbildung und den Austausch mit anderen Fachleuten konnte ich die Technik weiter verfeinern und anpassen, was zu verbesserten Behandlungsergebnissen führte.

Etablierung als Standardverfahren

Über die Jahre wurde die ITC zu einem Standardverfahren in meiner Praxis für die Behandlung von Hörsturz und ähnlichen Innenohrerkrankungen. Die Methode hat sich als sicher und effektiv erwiesen, was durch die hohe Zahl an zufriedenen Patienten bestätigt wird.

Anwendung der ITC bei Gleichgewichtsstörungen

Neben dem Hörsturz habe ich die intratympanale Glukokortikoidtherapie auch erfolgreich zur Behandlung verschiedener Erkrankungen des Gleichgewichtsorgans eingesetzt. Störungen wie Morbus Menière, der Ausfall des Vestibularorgans und die Neuritis vestibularis können ebenfalls von dieser lokalen Therapieform profitieren.

Morbus Menière

Morbus Menière ist eine komplexe Erkrankung, die durch Schwindel, Tinnitus und Hörverlust gekennzeichnet ist. Die ITC bietet eine gezielte Therapieoption, die helfen kann, die Entzündungsreaktion im Innenohr zu reduzieren. In meiner Praxis habe ich beobachtet, dass Patienten mit Morbus Menière oft eine deutliche Linderung ihrer Symptome erfahren, insbesondere in Bezug auf die Intensität und Häufigkeit von Schwindelanfällen.

Ausfall des Vestibularorgans

Bei einem Ausfall des Vestibularorgans, einer akuten Störung, die zu starkem Schwindel und Gleichgewichtsproblemen führt, kann die ITC als Teil eines umfassenden Behandlungsplans eingesetzt werden. Durch die lokale Anwendung von Glukokortikoiden können Entzündungsprozesse im Vestibularorgan gehemmt werden, was oft zu einer schnelleren Erholung und Wiederherstellung der Gleichgewichtsfunktion führt.

Neuritis vestibularis

Die Neuritis vestibularis, eine Entzündung des Vestibularnervs, die plötzlichen, schweren Schwindel verursacht, kann ebenfalls mit der ITC behandelt werden. Die direkte Verabreichung von Steroiden ins Ohr kann effektiv die Entzündung reduzieren und die vestibuläre Funktion verbessern, was zu einer signifikanten Verringerung der Symptome und einer beschleunigten Erholung führt.

Zusammenfassung der Vorteile der ITC bei Gleichgewichtsstörungen

Die Verwendung der intratympanalen Glukokortikoidtherapie bei Gleichgewichtsstörungen in meiner Praxis hat sich als eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Behandlungsmethoden erwiesen. Sie ermöglicht eine präzise und effektive Therapie, die speziell auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten zugeschnitten ist. Die Vorteile dieser Methode sind:

  • Zielgerichtete Therapie: Direkte Applikation am Ort der Erkrankung sorgt für optimale Ergebnisse.
  • Schnelle Symptomlinderung: Viele Patienten berichten von einer schnellen Abnahme ihrer Symptome.
  • Geringe systemische Nebenwirkungen: Da das Medikament lokal verabreicht wird, sind die allgemeinen Nebenwirkungen minimal.
  • Verbesserung der Lebensqualität: Patienten kehren schneller zu ihrem normalen Alltag zurück.

Fazit

Seit der Einführung der intratympanalen Glukokortikoidtherapie in meiner Praxis im Jahr 2005 habe ich diese nicht nur zur Behandlung von Hörstörungen, sondern auch bei verschiedenen Gleichgewichtserkrankungen mit großem Erfolg eingesetzt. Diese Therapie hat sich als eine sichere und wirksame Behandlungsoption erwiesen, die das Potenzial hat, das Wohlbefinden und die Lebensqualität meiner Patienten erheblich zu verbessern. Ich bin zuversichtlich, dass die kontinuierliche Anwendung und Weiterentwicklung dieser Methode auch in Zukunft zahlreichen Menschen helfen wird.