Morbus Menière: Gentamicin oder Kortison – was hilft besser?

Morbus Menière ist eine chronische Erkrankung des Innenohrs, die den Alltag der Betroffenen massiv beeinträchtigen kann. Charakteristisch sind anfallsartiger Drehschwindel, Hörminderung, Ohrgeräusche (Tinnitus) und ein Druckgefühl im Ohr. Die Erkrankung verläuft in Schüben und kann mit der Zeit das Hörvermögen weiter verschlechtern.

Für Patientinnen und Patienten, bei denen konservative Maßnahmen wie salzarme Ernährung, Diuretika oder Betahistin nicht ausreichend helfen, stehen sogenannte intratympanale Therapien zur Verfügung. Dabei wird ein Medikament direkt in das Mittelohr eingebracht. Zwei etablierte Wirkstoffe kommen hier infrage: Gentamicin und Kortikosteroide(z. B. Dexamethason).

Eine neue systematische Übersichtsarbeit mit Metaanalyse, veröffentlicht 2024 im Fachjournal Frontiers in Neurology, vergleicht diese beiden Behandlungsoptionen miteinander – mit spannenden Erkenntnissen.


Wie wirkt Gentamicin?

Gentamicin ist ein Antibiotikum, das selektiv das Gleichgewichtsorgan im Innenohr schädigt. Was zunächst paradox klingt, ist in diesem Fall gewünscht: Durch eine gezielte Dämpfung der überaktiven Gleichgewichtsorgane lässt sich der Schwindel kontrollieren. Die Therapie erfolgt meist in mehreren Sitzungen, wobei das Medikament durch das Trommelfell injiziert wird.

Vorteil: Sehr gute Kontrolle des Drehschwindels.
Nachteil: Risiko einer bleibenden Verschlechterung des Hörvermögens.


Wie wirken Kortikosteroide?

Kortikosteroide wie Dexamethason wirken entzündungshemmend und abschwellend. Bei der intratympanalen Anwendung scheinen aber auch andere Qualitäten zu wirken. Auch sie können durch das Trommelfell ins Mittelohr eingebracht werden. Ihre Wirkung auf den Schwindel ist in vielen Fällen gut, aber tendenziell schwächer als bei Gentamicin.

Vorteil: Schonender für das Gehör.
Nachteil: Möglicherweise geringere Schwindelkontrolle.


Was sagt die aktuelle Forschung?

Die Metaanalyse von Zhang et al. (2024) hat 17 hochwertige Studien mit insgesamt 984 Patienten ausgewertet. Das wichtigste Ergebnis:

  • Gentamicin war effektiver bei der Kontrolle des Schwindels (Odds Ratio 2,07).
  • Kortikosteroide zeigten sich deutlich sicherer in Bezug auf das Gehör.
  • In Bezug auf Tinnitus oder Lebensqualität ergaben sich keine signifikanten Unterschiede.

Die Autoren betonen, dass die Auswahl des Medikaments individuell erfolgen sollte – je nach Beschwerden, Leidensdruck und Restgehör.


Für wen eignet sich welche Therapie?

Gentamicin eignet sich vor allem für:

  • Patientinnen und Patienten mit stark einschränkenden Schwindelattacken
  • Fälle mit bereits eingeschränktem Hörvermögen auf dem betroffenen Ohr

Kortikosteroide eignen sich besser für:

  • Personen mit noch gutem Gehör auf dem erkrankten Ohr
  • Leichteren Schwindelverläufen
  • Wunsch nach möglichst nebenwirkungsarmer Behandlung

Wie läuft eine intratympanale Therapie ab?

Beide Medikamente werden mithilfe einer feinen Nadel direkt ins Mittelohr injiziert. Dies erfolgt ambulant und unter lokaler Betäubung. Die Flüssigkeit gelangt durch das sogenannte Rundfenster in das Innenohr und entfaltet dort ihre Wirkung.

Nach der Injektion sollte der Kopf für etwa 20-30 Minuten ruhig gelagert werden. In vielen Fällen sind mehrere Sitzungen im Abstand von einigen Tagen erforderlich.


Gibt es Risiken?

Gentamicin:

  • Hörverschlechterung (in bis zu 30 % der Fälle)
  • Gleichgewichtsstörungen in den ersten Tagen nach der Injektion

Kortikosteroide:

  • Sehr geringe Nebenwirkungen
  • In seltenen Fällen: lokale Reizung im Mittelohr

Fazit: Eine individuelle Entscheidung

Die Wahl zwischen Gentamicin und Kortikosteroiden ist keine pauschale Entscheidung, sondern hängt vom individuellen Krankheitsverlauf und den Therapiezielen ab. Wer unter schwerem Schwindel leidet, profitiert möglicherweise mehr von Gentamicin – auch wenn dies mit einem höheren Risiko für Hörschäden verbunden ist. Kortikosteroide sind hingegen die schonendere Variante und oft die erste Wahl bei Patienten mit erhaltenem Gehör.

Wichtig ist, sich umfassend über die Möglichkeiten zu informieren und gemeinsam mit der behandelnden Fachärztin oder dem Facharzt abzuwägen, welches Vorgehen in der individuellen Situation am sinnvollsten ist.


Quelle:
Zhang Y, Li X, Chen Y, Zhang H, Zhou M, Shen H. Comparative efficacy of intratympanic gentamicin and intratympanic corticosteroid in the treatment of Meniere’s disease: a systematic review and meta-analysis. Front Neurol. 2024;15:1471010. doi:10.3389/fneur.2024.1471010