
Labyrinthanästhesie beim Morbus Menière
Der Morbus Menière zählt zu den belastendsten Erkrankungen des Innenohrs. Betroffene erleben immer wieder plötzlich einsetzenden Drehschwindel, häufig begleitet von einem Ohrdruck, Tinnitus und einer allmählichen einseitigen Hörminderung. Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt, es wird jedoch angenommen, dass eine Störung im Flüssigkeitshaushalt des Innenohrs – ein sogenannter endolymphatischer Hydrops – zu einer Reizung des Gleichgewichtsorgans führt. Diese anfallsartigen Attacken sind nicht nur körperlich, sondern auch seelisch sehr belastend, da sie meist unvorhersehbar auftreten und die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen.
Standardtherapien zielen auf eine Entlastung des Innenohrs ab – etwa durch die Gabe von Betahistin, eine salzarme Ernährung, Stressvermeidung oder auch durch kortisonhaltige Medikamente. In vielen Fällen führt dieser konservative Ansatz zur Linderung. Doch was, wenn die Beschwerden trotz aller Bemühungen bestehen bleiben?
In meiner Praxis biete ich für genau diese Situationen eine nebenwirkungsarme und gut verträgliche Methode an: die sogenannte Labyrinthanästhesie.
Was versteht man unter Labyrinthanästhesie?
Bei der Labyrinthanästhesie handelt es sich um ein minimal-invasives Verfahren, bei dem eine kleine Menge eines örtlichen Betäubungsmittels – in der Regel Lidocain 2 % – in das Mittelohr eingebracht wird. Von dort aus kann das Medikament über das sogenannte „runde Fenster“ in das Innenohr diffundieren und dort gezielt die Signalweiterleitung des Gleichgewichtsnervs blockieren – allerdings nur vorübergehend. Dieses Verfahren unterscheidet sich deutlich von der Gentamicintherapie, bei der das Ziel eine dauerhafte Ausschaltung des Gleichgewichtsorgans ist. Die Labyrinthanästhesie hingegen wirkt reversibel und zerstört keine Strukturen.
In wissenschaftlichen Veröffentlichungen, u. a. von Prof. Illberg (Frankfurt) und Adunka (2003), wird die Methode als elegant, sicher und gut steuerbar beschrieben. In einer retrospektiven Untersuchung berichteten rund 70 bis 85 % der Patienten über eine deutliche Besserung ihrer Schwindelanfälle – teils über viele Monate oder sogar Jahre. Besonders hervorzuheben ist, dass die Hörfunktion dabei erhalten bleibt.
Wie läuft die Behandlung ab?
Zunächst erfolgt ein ausführliches Aufklärungsgespräch. Ich erläutere dabei alle Schritte, den Nutzen, mögliche Risiken und die Alternative der Nichtbehandlung. Am Behandlungstag selbst wird das Trommelfell mit einer lokal betäubenden Lösung schmerzfrei gemacht.
In Rückenlage mit zur Gegenseite geneigtem Kopf wird das Lidocain nun langsam über eine dünne Kanüle in das Mittelohr appliziert. Anschließend bleiben Sie etwa 30 Minuten ruhig in dieser Position liegen. In dieser Zeit beginnt das Medikament über die Membran des runden Fensters auf das Gleichgewichtsorgan zu wirken. Häufig tritt dann eine gewollte, vorübergehende Schwindelreaktion auf – begleitet von Übelkeit oder Augenzittern, dem sogenannten Nystagmus. Diese Symptome zeigen an, dass das Mittel korrekt appliziert wurde und die gewünschte Wirkung entfaltet. Je nach Verträglichkeit wird ein Antiemetikum verabreicht.
Nach etwa zwei bis drei Stunden klingen die Beschwerden ab. Sie dürfen dann nach Hause gehen, sollten sich aber noch für den Rest des Tages und den Folgetag körperlich schonen. In der Regel empfehle ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für drei Tage bis eine Woche.
Was darf man sich von der Behandlung erhoffen?
Ziel der Labyrinthanästhesie ist es, dem Gleichgewichtsnerv eine Art „Reset“ zu ermöglichen. Der therapeutische Ansatz ist, dass die kurzzeitige Unterbrechung der Reizweiterleitung zu einer längerfristigen Beruhigung des gestörten Gleichgewichtssystems führt. Diese Hypothese ist in der Schulmedizin nicht unumstritten. Kritiker betonen, dass der Effekt pharmakologisch nur für wenige Stunden plausibel erklärbar sei und sehen daher in der dauerhaften Wirkung eher einen Placeboeffekt oder eine Spontanremission.
Dennoch spricht die klinische Erfahrung vieler HNO-Ärzte eine andere Sprache: Bei einem Großteil der Behandelten verbessert sich die Lebensqualität signifikant, ohne dass das Innenohr geschädigt wird – das ist der entscheidende Unterschied zu invasiveren Verfahren.
Besonders interessant ist, dass Wiederholungen der Behandlung bei Rückfällen erneut wirksam sein können. In Studien zeigte sich bei 80 % der Patienten mit erfolgreicher Erstanwendung auch ein Erfolg bei einer Zweitbehandlung.
Welche Risiken bestehen?
Die Labyrinthanästhesie gilt als sehr gut verträglich. Vorübergehende Schwindelgefühle, Übelkeit oder ein leichtes Druckgefühl im Ohr sind erwartbar, aber ungefährlich. Schwere Nebenwirkungen wie Mittelohrentzündungen oder bleibende Hörverluste sind extrem selten und wurden in den relevanten Studien nicht beobachtet. Im Unterschied zur Gentamicin-Injektion bleibt die Hörfähigkeit vollständig erhalten.
Was kostet die Labyrinthanästhesie?
Die Behandlung ist eine privatärztliche Leistung. Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten derzeit nicht, da es sich um eine individuell zu entscheidende Maßnahme außerhalb der kassenärztlichen Regelversorgung handelt. Der Preis beträgt in meiner Praxis 100 Euro pro Sitzung (zuzüglich ca 30 Euro Medikamentenkosten) – inklusive Aufklärung, Durchführung, sonstige Materialkosten, Lagerung und Nachkontrolle.
Fazit
Die Labyrinthanästhesie ist ein wirkungsvoller, sicherer und wiederholbarer Therapieansatz bei Morbus Menière – vor allem dann, wenn herkömmliche Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg bringen. Sie verbindet medizinisches Wissen mit einer individuell angepassten, gut verträglichen Anwendung. Und sie gibt den Patientinnen und Patienten eines zurück, das im Leben mit Morbus Menière oft verloren geht: Kontrolle und Hoffnung.
Wenn Sie unsicher sind, ob diese Behandlung für Sie in Frage kommt, berate ich Sie gerne individuell in meiner HNO-Praxis.
Wissenschaftliche Quellen
- Verdonck J, Desloovere C. Intratympanic lidocaine instillation for Menière’s disease. B-ENT. 2011;7:157–164.
- Laurikainen EA et al. Effects of intratympanically delivered lidocaine on the auditory system in humans. Ear Hear. 1996;17(1):49–54.
- Adunka O et al. Labyrinth anesthesia – a forgotten but practical treatment option in Menière’s disease. ORL J Otorhinolaryngol Relat Spec. 2003;65(2):84–90.
- Schaaf H. Morbus Menière: Schwindel – Hörverlust – Tinnitus. Springer Verlag. 6. Ausgabe, 2009.
- Illberg v. Beiträge zur Labyrinthanästhesie. KIMM aktuell 1/2010.
- Stellungnahme Dr. med. H. Schaaf zur Labyrinthanästhesie. KIMM aktuell, Kommentar 2010.
Rechtlicher Hinweis
Die Informationen auf dieser Seite dienen ausschließlich der allgemeinen Information und stellen keine individuelle ärztliche Beratung dar. Die Entscheidung für oder gegen eine Behandlung sollte stets im persönlichen Arzt-Patienten-Gespräch erfolgen. Die Labyrinthanästhesie ist kein Bestandteil der kassenärztlichen Regelversorgung und wird daher nicht von gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die beschriebenen Inhalte basieren auf aktuellen wissenschaftlichen Studien und meiner langjährigen praktischen Erfahrung als HNO-Arzt.