Schwindel ist neben Kopfschmerzen eines der häufigsten Symptome in der Neurologie und kann eine Vielzahl von Ursachen haben. Eine besonders häufige und oft übersehene Form des Schwindels ist der phobische Schwankschwindel (Phobic Postural Vertigo, PPV). Dieser Artikel soll Ihnen einen umfassenden Überblick über PPV geben, damit Sie besser verstehen, was diese Erkrankung ausmacht, wie sie diagnostiziert wird und welche Therapiemöglichkeiten es gibt.
Was ist phobischer Schwankschwindel?
Phobischer Schwankschwindel ist eine funktionelle Schwindelerkrankung, die sich durch episodischen Schwankschwindel und eine Unsicherheit beim Stehen und Gehen auszeichnet, obwohl keine organischen Ursachen feststellbar sind. Patienten beschreiben oft ein Gefühl von Benommenheit, fluktuierende Unsicherheit und eine Angst vor dem Fallen, ohne tatsächlich zu stürzen.
Symptome des phobischen Schwankschwindels
Die typischen Symptome von PPV umfassen:
- Schwankschwindel: Ein Gefühl, als ob der Boden unter den Füßen schwankt oder als ob man sich auf einem schwankenden Untergrund befindet.
- Unsicherheit beim Stehen und Gehen: Besonders in Situationen wie beim Überqueren von Brücken, beim Autofahren, in großen Menschenansammlungen oder in weiten, offenen Räumen.
- Angst und vegetative Symptome: Häufig treten während oder nach den Attacken auch Angstgefühle und vegetative Symptome wie Schwitzen, Herzklopfen oder Zittern auf.
- Verminderte Beschwerden durch Alkohol: Viele Patienten berichten, dass leichter Alkoholkonsum ihre Symptome lindert.
Ursachen und Auslöser
Die genauen Ursachen von PPV sind noch nicht vollständig geklärt. Häufig tritt die Erkrankung nach einer organischen vestibulären Störung (wie einer abgelaufenen Neuritis vestibularis oder einem benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel, BPPV) oder nach psychosozialen Belastungssituationen auf. Patienten mit PPV neigen oft zu zwanghaften und perfektionistischen Persönlichkeitszügen und zeigen eine reaktiv-depressive Symptomatik.
Epidemiologie
Laut einer retrospektiven Analyse von 4214 Patienten in einer überregionalen Spezialambulanz für Schwindel von 1989 bis 2002 ist PPV mit 16% die zweithäufigste Schwindelursache nach dem benignen peripheren paroxysmalen Lagerungsschwindel (BPPV) mit 18,8%. In der Altersgruppe der 21- bis 50-Jährigen ist PPV die häufigste Schwindelform und betrifft Männer und Frauen fast gleich häufig.
Diagnose
Die Diagnose von PPV stellt oft eine Herausforderung dar, da der Schwindel nicht auf organische Ursachen zurückzuführen ist und die neurologischen und Gleichgewichtstests meist unauffällig sind. Eine sorgfältige Anamnese und die Berücksichtigung der typischen Auslöser und Symptome sind entscheidend. Wichtige diagnostische Hinweise sind die episodischen Schwindelattacken ohne objektive Funktionsstörungen und die Verbesserung der Symptome durch leichten Alkoholkonsum.
Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
Die Therapie des phobischen Schwankschwindels besteht aus mehreren Ansätzen:
- Aufklärung und psychologische Unterstützung: Ein wichtiger erster Schritt ist die ausführliche Aufklärung des Patienten über die psychogenen Mechanismen der Erkrankung. Die Entlastung von der Angst, an einer organischen Krankheit zu leiden, ist hierbei zentral.
- Desensibilisierung und Eigenexposition: Patienten sollten lernen, die für sie schwindelauslösenden Situationen nicht zu meiden, sondern aktiv aufzusuchen, um eine Desensibilisierung zu erreichen. Regelmäßiger, leichter Sport kann ebenfalls hilfreich sein, um das Vertrauen in das eigene Gleichgewicht wiederzugewinnen.
- Verhaltenstherapie und medikamentöse Unterstützung: Wenn die Eigenexposition nicht ausreicht, kann eine Verhaltenstherapie indiziert sein. In manchen Fällen kann zusätzlich eine medikamentöse Therapie mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) oder trizyklischen Antidepressiva sinnvoll sein.
Prognose
Die Prognose von PPV ist bei richtiger Diagnose und Therapie gut. Laut einer Studie waren nach einer Therapie 72% der Patienten beschwerdefrei oder deutlich gebessert. Ohne Behandlung kann PPV jedoch chronisch werden und zu erheblichen Beeinträchtigungen im Berufs- und Alltagsleben führen.
Sozioökonomische Bedeutung
PPV betrifft oft Menschen im arbeitsfähigen Alter und kann ohne adäquate Therapie zu chronischen Verläufen und Arbeitsunfähigkeit führen. Daher ist die frühzeitige Diagnose und Behandlung von großer Bedeutung, sowohl aus medizinischer als auch aus sozioökonomischer Sicht.
Fazit
Phobischer Schwankschwindel ist eine häufige, aber oft übersehene Ursache von Schwindel, die besonders im mittleren Lebensalter auftritt. Eine sorgfältige Diagnose und eine umfassende Aufklärung der Patienten sind entscheidend für eine erfolgreiche Therapie. Durch gezielte Maßnahmen wie Aufklärung, Eigenexposition und gegebenenfalls Verhaltenstherapie können die meisten Patienten ihre Symptome erheblich lindern oder sogar vollständig überwinden.
Quellenangabe:
- Brandt T. Phobic postural vertigo. Neurology (1996) 46:1515–1519
- Brandt T, Dieterich M (1986) Phobischer Attacken-Schwankschwindel, ein neues Syndrom. Münch Med Wochenschr 128:247–250
- Brandt T, Dieterich M, Strupp M (2003) Vertigo – Leitsymptom Schwindel. Steinkopff Darmstadt
- Brandt T, Huppert D, Dieterich M (1994) Phobic postural vertigo: a first follow-up. J Neurol 241:191–195
- Davis A, Moorjani P (2003) The epidemiology of hearing and balance disorders. In: Luxon ML, Furmann IM, Martini A, Stephens D, Dunitz M (eds) Textbook of Audiological Medicine. London p 89–99
- Eckhardt-Henn A, Breuer P, Thomalske C, Hoffmann SO, Hopf HC (2003) Anxiety disorders and other psychiatric subgroups in patients complaining of dizziness. J Anxiety Disord 431:1–20
- Furman JM, Jacob RG (1997) Psychiatric dizziness. Neurology 48:1161–1166
- Huppert D, Brandt T, Dieterich M, Strupp M (1994) Phobischer Schwankschwindel: die zweithäufigste Diagnose in einer Spezialambulanz für Schwindel. Nervenarzt 65:421–423
- Huppert D, Kunihiro T, Brandt T (1995) Phobic postural vertigo (154 patients): its association with vestibular disorders. J Audiol 4:97–103
- Kapfhammer HP, Mayer C, Hock U, Huppert D, Dieterich M, Brandt T (1997) Course of illness in phobic postural vertigo. Acta Neurol Scand 95:23–28
- Yardley L, Redfern MS (2001) Psychological factors influencing recovery from balance disorders. J Anxiety Disord 15:107–119